Was ist das „kleine“ Sorgerecht des Stiefelternteils?
Das sogenannte kleine Sorgerecht bevollmächtigt den Stiefelternteil, in Alltagsangelegenheiten des Stiefkindes Entscheidungen zu treffen. Der Umfang des kleinen Sorgerechts hängt mithin davon ab, ob der leibliche Elternteil, der das Kind überwiegend betreut, das alleinige Sorgerecht hat oder ob das gemeinsame Sorgerecht mit dem anderen leiblichen Elternteil des Kindes fortbesteht. Außerdem kommt es darauf an, ob es um Entscheidungen des täglichen Lebens oder um Angelegenheiten geht, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind. Wir erklären, was Sie als Elternteile Ihres gemeinsamen Kindes und als Stiefelternteil Ihres Stiefkindes dazu wissen sollten.
Das Wichtigste
- Das kleine Sorgerecht berechtigt Sie als Stiefelternteil, in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Stiefkindes Entscheidungen zu treffen. Ihre Entscheidungsbefugnis soll Ihre alltägliche Lebensführung erleichtern und die familiäre Bindung fördern.
- Als Stiefelternteil geht Ihr Sorgerecht aber nur soweit, wie auch der sorgeberechtigte Elternteil in Angelegenheiten des Kindes entscheiden kann.
- In Alltagsangelegenheiten können Sie alleine entscheiden.
- In Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung sind Sie, soweit Sie Ihr Ehepartner zu Entscheidungen bevollmächtigt hat, stets auf die Zustimmung des anderen leiblichen sorgeberechtigten Elternteils angewiesen.
- Als Stiefelternteil haben Sie bei Gefahr in Verzug ein Notvertretungsrecht für Ihr Stiefkind.
- Um Ihr Sorgerecht nachzuweisen, empfiehlt sich, eine Stiefelternvollmacht zu erstellen.
- Soll das Kind nach dem Tod Ihres Ehepartners in Ihrem Haushalt verbleiben, können Sie beim Familiengericht beantragen, dass Ihr Stiefkind auch künftig bei Ihnen bleibt und nicht an den überlebenden leiblichen Elternteil zu übergeben ist.
Was genau bedeutet kleines Sorgerecht?
Leben Sie als Stiefelternteil mit dem leiblichen Elternteil Ihres Stiefkindes in häuslicher Gemeinschaft zusammen, sind Sie im Einvernehmen mit dem Elternteil des Kindes berechtigt, in Angelegenheiten des täglichen Lebens des Kindes Entscheidungen zu treffen (§ 1687b BGB). Sie haben als Stiefelternteil damit eine eigene Entscheidungsbefugnis und dürfen das Kind, zumindest in Angelegenheiten des täglichen Lebens, auch rechtlich vertreten. Das kleine Sorgerecht wird auch als eingeschränktes Sorgerecht oder Mitentscheidungsrecht bezeichnet. Sie brauchen das kleine Sorgerecht also nicht eigens zu beantragen. Es entsteht durch Ihre Eheschließung und besteht per Gesetz. Sollte Ihr Ehepartner als leiblicher Elternteil des Kindes im Einzelfall mit Ihrer Entscheidung nicht einverstanden sein, kann er Ihre Entscheidung jederzeit revidieren. Das Sorgerecht des leiblichen Elternteils steht im Rahmen über Ihrem kleinen Sorgerecht.
Das kleine Sorgerecht besteht auch, wenn Sie in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft leben (§ 9 LPartG).
Welchen Zweck hat das kleine Sorgerecht?
Leben Sie mit Ihrem Stiefkind in einem gemeinsamen Haushalt zusammen, gebietet es der Alltag und nicht zuletzt auch die Vernunft, dass Sie an der Pflege, Betreuung und Erziehung des Stiefkindes teilhaben. Dadurch, dass Sie den leiblichen und betreuenden Elternteil des Kindes geheiratet haben, haben Sie eine Familie begründet, in die zwangsläufig auch das im Haushalt lebende leibliche Kind Ihres Partners einbezogen ist.
Hätten Sie keinerlei Rechte, wäre es wenig alltagstauglich, Sie in die tägliche Lebensführung des Kindes einbeziehen zu wollen. Das kleine Sorgerecht des Stiefelternteils stärkt damit auch Ihre familiäre Bindung zum Kind und umgekehrt die Bindung des Kindes zum Stiefelternteil. Angesichts der Tatsache, dass immer mehr Kinder in Regenbogenfamilien leben, hat das kleine Sorgerecht eine erhebliche Bedeutung, auch wenn es nicht immer bewusst als Recht wahrgenommen wird.
Mit den Kindern muss man zart und freundlich verkehren. Das Familienleben ist das beste Band. Kinder sind unsere besten Richter.
Als Stiefelternteil haben Sie immer nur so viele Rechte, wie auch der sorgeberechtigte leibliche Elternteil innehat. Als Stiefelternteil können Sie also nicht mehr Rechte ausüben, als dem sorgeberechtigten Elternteil zustehen. Damit ist bereits die Antwort vorgezeichnet, welche Rechte Sie bei Angelegenheiten des täglichen Lebens und welche Rechte Sie bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind haben (Details siehe unten).
Praxisbeispiel:
Sie möchten Ihr siebenjähriges Stiefkind nach der Schule im Schulgebäude abholen. Der Lehrer verweigert Ihnen die Herausgabe des Kindes, da er Sie zwar kennt, aber nicht anerkennt, dass Sie als Stiefelternteil auch das Recht haben, das Kind an der Schule abzuholen. Da es sich um eine Angelegenheit des täglichen Lebens handelt und der Lehrer Sie als Person kennt, haben Sie aufgrund Ihres kleinen (eingeschränkten) Sorgerechts das Recht, das Kind in oder vor der Schule in Empfang zu nehmen.
Warum macht es einen Unterschied, ob das alleinige oder gemeinsame Sorgerecht besteht?
Der leibliche Elternteil ist allein sorgeberechtigt
Ist Ihr Ehepartner als leiblicher Elternteil Ihres Stiefkindes allein sorgeberechtigt, hat der andere leibliche Elternteil Ihres Kindes kein Sorgerecht. Das Kind lebt zwangsläufig in Ihrem Haushalt. Der nicht sorgeberechtigte Elternteil kann nichts für das Kind entscheiden.
In dieser Konstellation haben Sie es relativ einfach. Der sorgeberechtigte Elternteil kann Ihnen als Stiefelternteil jegliche Entscheidungsbefugnis übertragen. Die Übertragung ist möglich, weil der sorgeberechtigte Elternteil alleine Entscheidungen treffen kann. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob es sich um Angelegenheiten des täglichen Lebens handelt oder um Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. Entscheidend ist allein, dass Ihr Ehepartner als leiblicher Elternteil allein sorgeberechtigt ist und deshalb das Recht hat, die ihm allein zustehenden Rechte im Hinblick auf das Kind auf den Stiefelternteil zu übertragen.
Gut zu wissen:
Egal, ob ein Elternteil das alleinige Sorgerecht hat oder das gemeinsame Sorgerecht nach der Scheidung fortbesteht: Der nicht betreuende Elternteil hat immer ein Umgangsrecht mit dem Kind. Als Stiefelternteil können Sie dem Kind also nicht den Umgang mit seinem anderen Elternteil verbieten. Das darf auch der leibliche sorgeberechtigte Elternteil nicht.
Das gemeinsame Sorgerecht beider leiblicher Elternteile besteht fort
Schwieriger ist die Situation, wenn das gemeinsame Sorgerecht beider leiblicher Elternteile auch nach der Scheidung fortbesteht. In diesem Fall kann der betreuende Elternteil allenfalls Entscheidungen des täglichen Lebens auf den Stiefelternteil übertragen. Er braucht dazu nicht die Einwilligung des anderen, nicht betreuenden Elternteils.
Sobald es aber um Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung geht, kann der betreuende Elternteil nur in Übereinstimmung mit dem nicht betreuenden Elternteil Entscheidungen treffen. In diesem Fall kann der Elternteil Sie als Stiefelternteil allenfalls bevollmächtigen, in Übereinstimmung mit dem anderen leiblichen Elternteil eine Entscheidung zu treffen. Da sich das kleine Sorgerecht nur auf Alltagsangelegenheiten des Kindes bezieht, brauchen Sie bei Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung immer die Bevollmächtigung Ihres Ehepartners als dem sorgeberechtigten Elternteil des Kindes.
Was sind Angelegenheiten des täglichen Lebens?
Angelegenheiten des täglichen Lebens sind solche, die alltägliche Bedeutung haben, ständig auf der Tagesordnung stehen und sich gegebenenfalls leicht korrigieren lassen. Sie haben meist keine erheblichen langfristigen Folgen. Dazu gehört die tägliche Sorge um die Ernährung, Kleidung, Hygiene oder Gesundheit des Kindes. In diesem Fall kann jeder sorgeberechtigte Elternteil eine Entscheidung treffen, ohne den anderen Elternteil fragen zu müssen.
Was sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung?
Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung sind solche, die für den Lebensweg und die Entwicklung des Kindes richtungsweisend sind. Dazu gehören Fragen der Schulwahl und des Schulwechsels, größere Operationen, aber auch die Taufe oder die Ausübung gefährlicher Sportarten. Auch die Urlaubsreise in ein Risikogebiet, in dem hohe Infektionsgefahren (z.B. wegen Corona) oder Terroranschläge zu erwarten sind, sind Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung. In diesen Fällen müssen beide gemeinsam sorgeberechtigte Elternteile zustimmen. Möchten Sie als Stiefelternteil anstelle Ihres Ehepartners entscheiden, brauchen Sie dessen Bevollmächtigung sowie die Zustimmung des anderen leiblichen Elternteils.
Was ist das Notvertretungsrecht des Stiefelternteils?
Ungeachtet des kleinen Sorgerechts haben Sie als Stiefelternteil stets ein Notvertretungsrecht. Erleidet das Kind einen Unfall oder ist sofortiges Handeln angesagt, dürfen Sie entscheiden, wie Sie im Interesse des Kindes mit der Situation umgehen (§ 1687b Abs. II BGB). Es wäre nicht praktikabel, wenn Sie vorher die Zustimmung des sorgeberechtigten Elternteils einholen müssen. Es ist eben Gefahr in Verzug. Sie dürfen alle notwendigen Handlungen vornehmen, die notwendig sind, um das Kind zu schützen oder um ihm zu helfen. Allerdings sind Sie verpflichtet, den sorgeberechtigten Elternteil umgehend zu informieren.
Ist eine Stiefelternvollmacht sinnvoll?
Als Stiefelternteil haben Sie möglicherweise das Problem, dass Dritte Zweifel haben, ob Sie im Rahmen Ihres kleinen Sorgerechts Entscheidungen für Ihr Stiefkind treffen dürfen. Insoweit kann es eine Hilfestellung sein, wenn der leibliche Elternteil eine Stiefelternvollmacht zur Wahrnehmung sorgerechtlicher Entscheidungen erstellt.
Darin könnten Sie als Stiefelternteil bevollmächtigt werden, alle Angelegenheiten, die der sorgeberechtigte Elternteil allein entscheiden kann, auch als Stiefelternteil zu entscheiden. Die wichtigsten Rechte, wie die Abholung des Kindes von der Schule oder vom Kindergarten oder die Teilnahme an Elternveranstaltungen an der Schule oder die Entgegennahme von Informationen bei ärztlichen Behandlungen könnten im Text der Vollmacht ausdrücklich bezeichnet werden. Soweit Sie eine Entscheidung in einer erheblichen Angelegenheit des Kindes treffen sollen, müssen Sie in der Stiefelternvollmacht ausdrücklich dazu bevollmächtigt werden (z.B. Entscheidung, ob das erkrankte Kind stationär behandelt werden soll).
Wenn Sie eine solche Stiefelternvollmacht in der Tasche haben, haben Sie die Sicherheit, dass Sie für das Kind Entscheidungen treffen dürfen, ohne dass Sie sich dafür wortreich rechtfertigen müssten. Ihr Rechtsanwalt oder Ihre Rechtsanwältin kann Ihnen auf Wunsch und im Hinblick auf Ihre familiären Gegebenheiten eine solche Stiefelternvollmacht erstellen.
Wie steht es um die Erziehungsberechtigung des Stiefelternteils?
Lebt das Kind im gemeinsamen Haushalt, müssen Sie das Recht haben, erzieherisch auf das Kind einzuwirken. Nur dann ist ein gedeihliches Zusammenleben im gemeinsamen Haushalt möglich. Ungeachtet Ihres kleinen Sorgerechts gebietet es die menschliche Vernunft, innerhalb einer häuslichen Gemeinschaft darauf zu achten, dass sich jeder Beteiligte an gewisse Regeln hält. Umgekehrt hat jeder Beteiligte die Pflicht, Regeln zu achten, unabhängig davon, ob diese von einem erziehungsberechtigten Elternteil oder einem Stiefelternteil eingefordert werden. Eine direkte Erziehungsberechtigung haben Sie als Stiefelternteil jedoch nicht. Eine solche dürfte oft auch darauf hinauslaufen, dass Entscheidungen von erheblicher Bedeutung zu treffen sind.
Die Kinder sind das Gewissen der Eltern.
Was ist, wenn der leibliche Elternteil verstirbt? (Antrag auf Verbleibensanordnung)
Stirbt der leibliche Elternteil, haben Sie ein Problem. Stirbt ein Elternteil, steht die elterliche Sorge nämlich dem überlebenden Elternteil zu (§ 1680 BGB). Oder hatte der verstorbene Elternteil das alleinige Sorgerecht, überträgt das Familiengericht die elterliche Sorge auf den überlebenden Elternteil, wenn dies dem Wohl des Kindes entspricht.
Da Sie als Stiefelternteil nicht sorgeberechtigt sind, kann der überlebende leibliche Elternteil das Kind von Ihnen herausverlangen. Ihr kleines Sorgerecht begründet kein Recht, dass Sie das Kind in Ihrem Haushalt behalten. Sie sind ja nur der Stiefelternteil. Dabei entsteht das Problem, dass das Kind möglicherweise aus seinem Lebensmittelpunkt in Ihrem Haushalt herausgerissen wird und zum anderen Elternteil wechseln müsste. In diesem Fall können Sie beim Familiengericht zum Schutz des Kindes eine Verbleibensanordnung beantragen (§ 1682 BGB).
Fordert der überlebende leibliche Elternteil die Herausgabe des Kindes, können Sie beim Familiengericht beantragen, dass das Kind in Ihrem Haushalt verbleibt. In diesem Fall ist allerdings Eile geboten. Sobald Ihr Ehepartner verstorben ist, hat der andere leibliche Elternteil das Recht, sofort und unverzüglich das Kind herauszuverlangen. Sie sollten also notfalls im Wege einer einstweiligen Anordnung beim Familiengericht beantragen, dass vorerst alles so bleibt, wie es ist.
Aber: Da der leibliche Elternteil der sorgeberechtigte Elternteil des Kindes ist, der nach dem Tode des anderen Elternteils (in diesem Fall Ihres Ehepartners) für das Kind verantwortlich ist, wird Ihr Antrag auf Verbleibensanordnung nur Erfolg haben, wenn durch den Umzug eine Gefahr für das seelische oder leibliche Wohl des Kindes entsteht. Die Anordnung des Verbleibens ist in der Praxis insoweit die Ausnahme.
Sie können den Antrag bei Gericht selbst stellen. Sie sollten sich allerdings unbedingt anwaltlich vertreten lassen. Nur dann besteht überhaupt eine realistische Chance, dass Ihr Antrag Aussichten auf Erfolg hat.
Fazit
Als Stiefelternteil sind Sie in die Erziehung Ihres Stiefkindes einbezogen. Möchten Sie der Verantwortung gerecht werden, muss es möglich sein, dass Sie in Angelegenheiten des Kindes mitentscheiden können. Auch wenn Sie sich dabei bisweilen auf einem schmalen Grat bewegen, gewährleistet das kleine Sorgerecht, dass Sie zumindest in alltäglichen Angelegenheiten des Kindes so handeln, als seien Sie der leibliche Elternteil.
Autor: Volker Beeden