Ehe.de: Wer kommt zu Ihnen? Sind es Ältere oder Jüngere, die Ihre Hilfe in Anspruch nehmen?
Hermann-Josef Winkelhorst: Zu uns kommen Paare und Einzelpersonen im Alter zwischen 20 und 80 Jahren mit vielfältigen Beratungswünschen aus der ganzen Palette ge- und erlebten menschlichen Lebens, vereinzelt auch Familien.
Ehe.de: Wie wichtig ist Gott für die Menschen, die zu Ihnen kommen?
Hermann-Josef Winkelhorst: Zunächst einmal kommen Menschen mit ganz konkreten Problemen, Fragen und Anliegen zu uns. Oft liegt hinter einem Anliegen dann aber auch eine tiefere Frage oder die Suche nach einem Sinngrund. Manchmal erleben Menschen Gott aber auch wie eine ewig moralisierende Instanz, die sie regelrecht verfolgt und ihr Leben schwer macht.
So gesehen spielt er nicht immer sofort bewusst eine Rolle, aber hintergründig bei der Frage der zur Option stehenden Werte und Verhaltensmöglichkeiten taucht die Gretchenfrage dann aber unvermittelt auf: Welcher Macht / Hoffnung folgt jemand in seinem Leben oder entzieht sich, und was sind die Gründe dafür? Dies fordert mich auch als Berater, denn ich halte es nicht für gleichgültig, aus welchem Wertehorizont ich mein Selbstverständnis herleite und welche Wege ich daraus für mich und meinen Umgang mit anderen ableite. Ein anderes Wort dafür heißt Verantwortung.
Bisweilen taucht unvermittelt im Beratungsgespräch die Rückfrage auf, vor welchem Hintergrund denn bestimmte Werte Sinn machen. Dann kann Gott als menschliche, mitfühlende und mitleidende Macht erfahrbar werden, der Menschen Kraft und Identität zu geben vermag, auch bei scheinbar aussichtsloser Perspektive. Wenn Menschen mit einem bestimmten Leidensdruck eine gewisse Form der Resilienz, also eine Kraft entwickeln, so berichten sie auch von Gotteserfahrungen: Kraft in auswegloser Lage, unerwartete Erfahrungen von Geborgenheit und Bemächtigung von Angst, das Gefühl plötzlich Beschenkte zu sein. Einen Sinn im Leiden zu finden. Eine Spur / Richtung im eigenen, krummen Lebensmuster zu erkennen, die sie befähigt, mit dem was sie erleiden etwas anzufangen, durch Menschen, die etwas vom menschenfreundlichen Gott ausstrahlen und Türen öffnen. In belebenden Begegnungen, die Berater und Ratsuchende bereichern.
So gesehen sehe ich Gott als wichtige identitätsstiftende Macht. Manchmal gelingt es auch in Beratungsprozessen, dass Menschen für sich Sternstunden des Erkennens erleben. Ob sie daraus irgendwann für sich ein ganzes Sternbild erkennen können liegt freilich nicht in meiner Macht, sondern ist letztlich ein Geschenk, ein anderer Ausdruck dafür ist Gnade.
Ehe.de: Sind es mehr Männer oder Frauen, die unter der Ehe leiden?
Hermann-Josef Winkelhorst: Diese Frage würde ich so nicht stellen. Sie ist mir zu defizitorientiert. Ich kann sie genauso andersherum stellen: Wer hat mehr von der Ehe?
Ehe.de: In Ordnung! Wer hat mehr von der Ehe? Sie oder Er?
Hermann-Josef Winkelhorst: Erst einmal glaube ich nicht daran, dass ein Geschlecht mehr leidet als das andere, es ist eher die Frage zu stellen, wie sich bestimmte Erfahrungen in der Ehe bei den Geschlechtern zeigen. So kann ich z.B. feststellen, dass es für Frauen sehr wichtig ist, eine gefühlsbetontere Kommunikation zu führen. Männer dagegen wiegen sich manchmal lange in Sicherheit und haben wenig Anlass, Dinge zu verändern, sofern die äußeren Rahmenbedingungen nicht offen in Frage gestellt werden.
Gemeinsam ist Männern und Frauen, dass sie die Wirklichkeit aus ihrem Erfahrungshorizont interpretieren, anders ausgedrückt: Wir konstruieren unsere Wirklichkeit aus den Einspurungen, die tief in unsere Kindheit und unsere geschlechtlichen Prägungen hineinreichen, und mit dieser Brille betrachten und bewerten wir dann unser Erleben, was dazu führen kann das wir merkwürdige Wiederholungsmuster erfahren in Lebensszenarien, die mit ganz anderen Menschen und Zusammenhängen zu ähnlichen emotionalen Erlebnissen führen wie wir sie schon kannten. Kurzum gesagt, wir lieben aus jemandem das heraus, was wir kennen und geraten in die Versuchung jemand anderen passgenau für die eigene Einspurung hinzubekommen. Das kann dann zu schlimmen Konflikten und Unverständnis führen.
Ehe.de: Was raten Sie Menschen, die sich nicht mehr lieben?
Hermann-Josef Winkelhorst: Mir stellen sich die Fragen: Aus welchem Grund ist das so? Was hat dazu geführt? Gibt es Ausnahmen? Dann kann ich oft eigene oder andere Entfremdungsmuster erkennen, die scheinbar einer vorgeformten Spur, einem Muster folgen, dessen Ursprünge ganz woanders liegen.
Ein anderer Aspekt sind verlorene Gleich- oder Gegengewichte: Wenn ich die Ehe einmal mit dem Bild einer Wippe vergleiche, so ist dann von lebendiger Partnerschaft zu sprechen, wenn die Wippe gut in Bewegung bleibt: Mal sitzt der eine oben und der andere unten und umgekehrt. Schwierig wird es dann, wenn einer immer oben und der andere immer unten sitzt. Wir reden in der Beratung dann von einer gestörten Gleichwertigkeitsbalance.
Ehe.de: Welche Tendenzen machen sich Ihrer Meinung nach bemerkbar?
Hermann-Josef Winkelhorst: Wenn Sie mit Tendenzen Entwicklungen meinen, die ich als Berater erkenne, so sehe ich einen deutlich geschärften Blick der Menschen auf Partnerschaft, vielleicht weil es schwieriger geworden ist bei der Vielfalt von scheinbar einfacheren unverbindlicheren Alternativen, sie zu leben.
Nach wie vor gibt es aber eine große Sehnsucht nach einem Menschen, der sich traut mit seinem „Ja zu mir!“ unbegrenzt einen Vertrauensbonus zu geben. Der Begriff Treue leitet sich von trauen ab.
Menschen sehnen sich nach dieser Form der Treue. Gleichwohl ist es heute viel schwieriger geworden, sich selbst dies auch zuzutrauen. Zudem werden wir heute viel älter und die Entscheidungsmöglichkeiten und Welten, in denen wir verkehren sind unendlich bunter und vielfältiger geworden als früher. Da kann es schnell passieren, dass wir den roten Faden für unser Leben verlieren oder gar nicht erst finden. Beratung bietet hierbei eine wichtige Orientierungsfunktion: Im besten Sinne geht es um Orientierungshilfe durch Fragen, die ich mir als Ratsuchender noch nicht gestellt habe. Mit Hilfe einer unbeteiligten dritten Person, sich und seine(n) PartnerIn in einem anderen Licht zu sehen, ist für mich ein erstrebenswertes Ziel! Und genau das suchen Menschen, wenn sie zunehmend um Rat in unseren Beratungsstellen anfragen.
Ehe.de: Was sind Ihre Versöhnungstipps?
Hermann-Josef Winkelhorst: Ein paar ganz einfache: Gut bei mir selbst bleiben, indem ich von mir und meinen Gefühlen spreche ohne eine verdeckte oder offene Vorwurfshaltung einzunehmen.
Beim Thema bleiben: Wenn ein Konflikt lodert, so steht genau dieser konkrete Konflikt zur Bearbeitung an. Keine weiteren Probleme sollten dazu gelegt werden, um nicht eine Eskalationslawine auszulösen.
Zuhören auf das, was der andere mir sagt: Das heißt, den anderen ausreden lassen, nicht ins Wort fallen und am besten mit eigenen Worten das, was der andere mir gesagt hat, noch einmal mit eigenen Worten zu wiederholen.
Gegen-über sein: Das heißt, einem Streit nicht ausweichen, sondern sich ihm stellen. Dazu bedarf es Kraft und eines Standpunktes. Der Zeitpunkt für den Streit sollte klug gewählt sein, ich darf nicht zu müde dafür sein. Wenn ich allerdings ausweiche und ihn vertage, bin ich auch dafür verantwortlich, das Problem wieder aufzugreifen. Dadurch fühlt sich mein Gegenüber ernst genommen. Wenn ich mich offen meinem Partner gegenüber zeige, ohne Nebelkerzen zu streuen, Phrasen zu dreschen und Unverbindlichkeit zu demonstrieren, sondern ich für den Anderen fühlbar bin in meiner Freude, Wut, Enttäuschung, Hoffnung, dann stehe ich in lebendigem Kontakt.