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Gericht gewährt Grundsicherung nach Heiratsschwindel

 
 

Der Tinder-Schwindler hat sich darauf spezialisiert, Frauen einen wohlhabenden Charmeur vorzugaukeln, der ihnen ein Luxusleben bieten kann. Mit diesem Image und der vermeintlichen Aussicht auf die große Liebe erschwindelt er sich ein wahres Vermögen. Sobald er die Dame seiner Wahl geködert hat, täuscht er nämlich vor, in großer Gefahr zu schweben und nur durch Geldzahlungen gerettet werden zu können. Die neue Netflix-Dokumentation zeigt, welche Dimensionen der Betrug beim Online-Dating annehmen kann.

Alles nur Fiktion? Nicht ganz, denn der Film beruht auf wahren Gegebenheiten. In Extremfällen verlieren die Opfer nicht nur ihr Vertrauen in sich selbst sowie andere, sondern auch sämtliche Ersparnisse. Und so müssen sich Gerichte immer wieder mit Ehe-Hochstaplern auseinandersetzen.

Jüngst auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg:

Frau überweist ihr gesamtes Vermögen und braucht Sozialhilfe

Eine 62-jährige Frau hatte einen Mann mit Wohnsitz im Ausland kennengelernt. Sie war in dem Glauben, ein gemeinsames Leben aufbauen zu können. Da der Mann angab, sich in einer finanziellen Notlage zu befinden, überwies sie ihm auf ein Konto in Großbritannien 24.000 EUR. Die Frau ging selbstverständlich davon aus, dass der Mann das geliehene Geld wieder zurückzahlen werde. Einen schriftlichen Darlehensvertrag gab es nicht. Als sie feststellte, dass sie auf das transferierte Geld nicht mehr zugreifen konnte und selbst mittellos war, bewilligte ihr das Job-Center auf ihren Antrag vorläufig Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich etwa 770 EUR.

In einem weiteren Bescheid stellte das Job-Center fest, dass die Frau die Grundsicherungsleistungen erstatten müsse. Dabei ging es um den Vorwurf, dass die Frau ihr Vermögen vermindert habe, indem sie dem Mann 24.000 EUR ins Ausland überwies, ohne einen Darlehensvertrag abzuschließen oder sich in sonstiger Weise zu versichern, ob das Engagement sinnvoll sei. Da die Frau seit einem Jahr keine Einnahmen mehr erzielte, keine Erwerbstätigkeit in Aussicht hatte und dennoch ihre sämtlichen Ersparnisse ins Ausland überwies, um dann einen Monat danach einen Antrag auf Grundsicherungsleistungen zu stellen, habe sie grob fahrlässig gehandelt. Im Hinblick auf den vom Job-Center gezahlten Betrag von monatlich 770 EUR hätten ihre Ersparnisse 31 Monate gereicht, um ihren Lebensunterhalt zu gewährleisten. Das Landessozialgericht Stuttgart hatte darüber zu entscheiden, ob die Frau das Geld tatsächlich erstatten musste (LSG Baden-Württemberg Urteil v. 20.10.2020 - L 9 AS 98/18).

Naives Verhalten ist nicht gleich sozialwidriges Verhalten

Das Landessozialgericht gab der Frau Recht. Ein Erstattungsanspruch nach § 34 Abs. I SGB II erfordere ein sozialwidriges Verhalten. Die Frau habe sich aber gerade nicht sozialwidrig verhalten. Es sei nicht Aufgabe des Jobcenters, ob die Hilfebedürftigkeit der Frau nachvollziehbar, naiv, unbedacht oder moralisch verwerflich verursacht worden sei.

  • Ein sozialwidriges Verhalten setze dort an, wo Vermögenswerte zielgerichtet verwendet werden, um vorsätzlich die soziale Hilfebedürftigkeit herbeizuführen. Dafür gebe es in der Person der Frau keine Anhaltspunkte.
  • Vielmehr sei sie selber Opfer einer Straftat geworden. Auch wenn sie hätte misstrauisch werden und das „drehbuchartige“ Verhalten des Mannes durch eine Recherche im Internet hätte erkennen können, sei sie aller Wahrscheinlichkeit nach nicht die Einzige, die auf diese betrügerische Methode hereingefallen sei.
  • Es sei für Betrugsopfer geradezu charakteristisch, dass deren Verhalten für einen außenstehenden Betrachter und im Nachhinein objektiv nicht nachvollziehbar sei. Die Frau brauche deshalb die bezogenen Grundsicherungsleistungen nicht an das Jobcenter zu erstatten.

Wie erkennen Sie Heiratsschwindel?

Heiratsschwindler und -schwindlerinnen präsentieren sich im persönlichen Kontakt gerne als Charmeure. Viele bevorzugen verstärkt Online-Börsen oder soziale Netzwerke. Heiratsschwindler sind Männer, können aber durchaus auch Frauen sein oder sich anderweitig identifizieren.

Gut zu wissen: Täuschung beim Online-Dating

„Scamming“ ist ein anderes Wort für Heiratsschwindler bei virtuellen Bekanntschaften. Dabei geht es vornehmlich um das sogenannte „Love- oder Romance-Scamming“. Die Scammer suchen auf online-Partnerbörsen oder in sozialen Netzwerken nach ihren Opfern. Scam-Männer geben sich gerne als Architekten, Tierärzte, US-Soldaten und Ingenieure aus. Sie leben meist im europäischen Ausland oder Amerika. Scam-Frauen sind bevorzugt Krankenschwestern, Ärztinnen, Schauspielerinnen oder Mitarbeiterinnen im Waisenhaus. Es versteht sich, dass Männer und Frauen auf den Dating-Seiten äußerst attraktiv daherkommen. Die Bilder täuschen eine falsche Identität vor und haben nur den Zweck, das auf der Suche befindliche potentielle Opfer für sich zu begeistern.

Allen ist gemeinsam, dass die Betrüger dem Opfer die große Liebe und eine erfüllende Beziehung versprechen, während sie es in Wirklichkeit nur auf das Geld abgesehen haben. Opfer kann jeder werden. Erfolgreiche Unternehmerinnen oder einsame Witwen sind genauso betroffen wie Männer in der Midlifecrisis oder im Rentenalter. Kontakte beginnen meist völlig harmlos. Die Betrüger geben sich als harmlose, ehrenwerte und freundliche Persönlichkeiten aus. Sie unterbreiten meist eine interessante und seriöse Lebensgeschichte. Das Opfer wird mit Liebesschwüren überschüttet.

Dann passiert es: Die vermeintlich große Liebe präsentiert eine Geschichte, die darauf hinausläuft, dass das Opfer finanzielle Unterstützung leisten soll. Dazu wird emotionaler Druck aufgebaut. Oft geht es darum, dass das Opfer die Kosten für einen Reisepass und ein Flugticket übernehmen soll, damit man sich vor Ort kennenlernen könne. Gerne werden auch berufliche Probleme oder krankheitsbedingte Schwierigkeiten vorgetäuscht.

Emotionen als Druckmittel

Wenn sich das Opfer dann weigert, Geld zu geben, wird der emotionale Druck erhöht. War am Anfang noch alles recht liebevoll, wird damit gedroht, dass sich das Opfer mit verantwortlich zeichnet, wenn die Hilfe verweigert wird. Soweit der Heiratsschwindler bereits persönliche Informationen über das Opfer ausgekundschaftet hat, wird das Opfer damit erpresst, dass in sozialen Netzwerken Lügen verbreitet werden. Letztlich geht es immer darum, dass sich das Opfer schuldig fühlt und wie ferngesteuert tut, was der Heiratsschwindler wünscht.

Besonders dreist wird es, wenn der Heiratsschwindler dann über die bloße Beziehung hinaus die Ehe verspricht. Allein die Erwartung und Hoffnung vieler Singles, endlich wieder in einer gefestigten Partnerschaft zu leben, lässt alle Vorsicht in den Hintergrund treten. Der Glaube, es sei so, wie man es sich wünscht und erträumt, überdeckt jeglichen Ansatz von Misstrauen.

Erst Lovebombing, dann Ghosting

Hat das Opfer finanzielle Leistungen erbracht, wird der Kontakt im Regelfall abgebrochen. Der Heiratsschwindler ist plötzlich nicht mehr erreichbar. Wohnadressen, Telefonnummern und E-Mail-Adressen, über die der Kontakt bislang erfolgt ist, existieren plötzlich nicht mehr. Auf Seiten der Opfer ist es dann oft so, dass sie sich schämen und sich nicht in der Lage sehen, Strafanzeige zu erstatten. Zwangsläufig bleiben die Opfer auf ihrem seelischen und finanziellen Schaden sitzen.

Heiratsschwindel ist als Betrug strafbar

§ 263 Strafgesetzbuch (StGB) betrifft auch den Heiratsschwindler: Wer sich in der Absicht, sich einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen, das Vermögen eines anderen dadurch beschädigt, dass er durch Vorspiegelung falscher Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält, handelt betrügerisch. Es droht eine Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder Geldstrafe. Bereits der Versuch ist strafbar.

Das Problem dabei ist, dass Sie eine Strafanzeige erstatten und Strafantrag stellen müssen. Allein das kostet oft Überwindung. Die nächste Hürde ergibt sich, wenn die Polizei vor der Herausforderung steht, die Person des Heiratsschwindlers ausfindig machen zu müssen. Sitzt die Person im Ausland, sind die Aussichten so gut wie null. Die Person existiert praktisch nicht. Schließlich legt sie es darauf an, nicht recherchiert werden zu können. Selbst wenn die Person ausfindig gemacht werden kann, wird sie versuchen, sich damit herauszureden, dass Sie die finanziellen Leistungen freiwillig erbracht haben oder ein Darlehen vereinbart worden sei. Betrügerisches Handeln ist oft schwierig nachzuweisen.

Expertentipp: Detektiv oder Polizei einschalten

Haben Sie den begründeten Verdacht, dass Sie es mit einem Heiratsschwindler oder einer Heiratsschwindlerin zu tun haben, sollten Sie die Polizei einschalten oder vielleicht einen Privatdetektiv einbeziehen. Sie haben vielleicht eine Chance, wenn Sie einen Köder auslegen und auf scheinbare Forderungen Ihrer vermeintlich seriösen Bekanntschaft eingehen. Mit der richtigen Strategie und etwas Glück könnte es gelingen, den Betrüger, auch im Ausland, dingfest zu machen. Eine Vorsichtsmaßnahme kann auch darin bestehen, dass Sie vor irgendwelchen Leistungen Rücksprache mit einer Person Ihres Vertrauens halten und Ihre emotional veranlasste Entscheidung einer kritischen Kontrolle unterziehen.

So schützen Sie sich vor Dating-Betrug

Der beste Schutz ist ein gesundes Misstrauen. Das sagt sich leicht, kann im wahren Leben aber schwierig umzusetzen sein. Auch wenn Sie vom großen Glück träumen, ist zu vergegenwärtigen, dass Sie sich emotional in einer Gefahrenzone bewegen.

  • Hat man eine Person kennengelernt, empfiehlt es sich, nicht direkt alles von sich selbst preiszugeben und schon gar nicht zu offenbaren, dass man über Vermögenswerte verfügt. Ein Heiratsschwindler ist an wenig lohnenswerten Beziehungen nicht interessiert, da er für sein Ziel Geduld, Zeit und Energie einsetzen muss. Sobald Sie mit verdächtigen Fragen konfrontiert werden, ist Vorsicht geboten.
  • Um die andere Person kennenzulernen, gehört es ohnehin dazu, nach deren familiären und beruflichen Hintergrund zu fragen. Auch hier kann es ein Warnzeichen sein, wenn er oder sie ausweicht oder durchaus glaubwürdige, aber meist nicht überprüfbare Geschichten erzählt.
  • Handelt sich um eine Internetbekanntschaft, sollte man sich erst recht nicht darauf einlassen, irgendwelche finanzielle Leistungen zu erbringen. Es ist schwer nachvollziehbar, was genau mit dem Geld geschieht und es gibt kaum Absicherungsmöglichkeiten.
  • Man sollte zudem sorgfältig darauf achten, was man auf Social Media von sich preisgibt, wer welche Angaben einsehen kann und umgekehrt, was man selber über das Profil der Bekanntschaft erfahren kann. Alter des Accounts und vorige Aktivitäten, bestehende Kontakte – all dies kann Aufschluss über die Person dahinter geben, kann aber auch eine bewusste Zurschaustellung sein.
  • Gleiches gilt auch für die weitere Recherche im Internet über die Person. Ist der Name dort völlig unbekannt, kann dies ein Hinweis darauf sein, dass diese Person gar nicht existiert oder darauf bedacht ist, nicht zu erscheinen. Das kann, muss aber nicht zwingend ein schlechtes Zeichen sein.
  • Und letztlich: Achten Sie auf Ihr Bauchgefühl. Haben Sie das nicht näher definierbare Gefühl, dass etwas nicht stimmt oder nicht so passt, wie es scheint, sollten Sie vorsichtig sein.

Alles in allem

Menschen glauben gern an das Gute. Dabei sollte jedoch die Vorsicht nicht außer Acht gelassen werden. Stehen Sie am Anfang einer Beziehung, empfiehlt sich, nichts zu überstürzen. Vieles ergibt sich, wenn Sie sich dafür Zeit lassen.