Ehe.de: Frau Tschirk, glauben Sie an die Liebe?
Karin Tschirk: Auf jeden Fall. Allerdings ist Liebe nichts Selbstverständliches, was automatisch nach der Verliebtheitsphase passiert. Diesem Irrtum erliegt leider die Mehrzahl der Paare. Wenn sich das erhoffte Beziehungsglück dann nicht dauerhaft einstellen will, gibt es mehrere Möglichkeiten, damit umzugehen: entweder erfolgt die Trennung oder ein unzufriedenes „Nebeneinander-her-leben“ oder der Entschluss, sich den Problemen zu stellen und für den Erhalt der Liebe etwas zu tun. Letzteres ist bestimmt nicht der einfachste Weg, aber langfristig gesehen sicher der erfüllendste. Denn trotz der erschreckend hohen Scheidungszahlen wünschen sich die meisten Menschen eine liebevolle Langzeit - Partnerschaft. Dies zu (er)leben ist durchaus möglich.
Ehe.de: Sie sehen Ihre Aufgabe darin, Partnern einen neuen Schwung in die Beziehung zu geben. Gelingt das?
Karin Tschirk: Wenn beide Partner das möchten und beide bereit sind, aktiv dafür einzutreten, kann ich Paare sehr effektiv darin unterstützen, ihre Beziehung zu beleben. Manchmal sind nur wenige Sitzungen nötig, damit die Partnerschaft wieder als Bereicherung empfunden wird. Immer wenn ich miterleben darf, wie zwei Menschen ihr verloren geglaubtes Interesse aneinander wieder entdecken, weiß ich, warum ich diesen Beruf gewählt habe. Schwieriger wird es, wenn Paare gravierende Probleme bereits Jahre oder gar jahrzehntelang unbearbeitet mit sich herumtragen. Das kann eine Beziehung und die Gefühle für einander regelrecht vergiften. Dann fehlt den Beteiligten unter Umständen die Kraft oder die Motivation für positive Veränderungen.
Ehe.de: Das ist wohl wahr. Warum ist es in der heutigen Zeit eigentlich so schwer geworden, eine gute Partnerschaft zu führen?
Karin Tschirk: Es war noch nie einfach, eine gute Partnerschaft zu führen. Obwohl die Scheidungsrate bei unseren Eltern oder gar Großeltern gravierend unter den heutigen Zahlen lag, heißt das nicht, dass diese Ehen unbedingt besser waren. Früher dienten Ehen überwiegend der gegenseitigen Absicherung. Entweder hat man gemeinsam einen Hof bewirtschaftet bzw. ein Familienunternehmen geführt oder der Mann hat auswärts gearbeitet und die Frau Kinder und Haushalt gemanagt. In beiden Fällen war eine Trennung aus wirtschaftlichen Gründen kaum möglich. Es war also überflüssig, sich über die Qualität der Ehe viele Gedanken zu machen. Erst seitdem Männer und Frauen als Individuen auf eigenen Füßen stehen und nicht mehr zwangsläufig aufeinander angewiesen sind, stellen sich Paare die Frage, ob ihre Partnerschaft gut ist oder eine Trennung sinnvoll wäre.
Ehe.de: Worin liegen die häufigsten Ursachen von maroden Beziehungen?
Karin Tschirk: Ich sehe eine der Hauptursache für Beziehungsfrust darin, dass die eigene Beziehung und somit auch der Partner bzw. die Partnerin nach einer gewissen Zeit als etwas Selbstverständliches angesehen werden. Häufig tritt das nach der Eheschließung ein. Man sieht sich im sicheren Hafen angekommen und möchte es von nun an bequem und gemütlich haben. Das hat meistens zur Folge, dass man sich umeinander nicht mehr bemüht und stattdessen die eigenen Bedürfnisse überbewertet werden. Nette Worte und Gesten, kleine Aufmerksamkeiten und tiefergehende Gespräche treten dann immer mehr in den Hintergrund. Parallel dazu steigt die Intoleranz gegenüber dem anderen. Dadurch fühlt sich jeder ungeliebt und ist auch nicht mehr uneingeschränkt bereit, auf den Partner zuzugehen. Das ist ein Teufelskreis aus dem man schnellstmöglich aussteigen sollte. Denn viele Beziehungsprobleme lassen sich klären, wenn jeder sicher ist, vom anderen geliebt und respektiert zu werden.
Ehe.de: Sie bieten auch Sexualtherapie an. Viele Paare haben durch Zeitmangel einfach verlernt, miteinander zu schlafen. Das passiert vor allem, wenn kleine Kinder oder Schichtarbeit zum Alltag gehören. Was bieten Sie für Lösungen an?
Karin Tschirk: Bei dem klassischen Beispiel „kein Sex wegen kleiner Kinder“ ist die Lösung oft unglaublich einfach. Manchmal reicht es tatsächlich aus, mit dem betroffenen Paar einen gemeinsamen Abend pro Woche zu vereinbaren, an dem die beiden sich füreinander Zeit nehmen müssen. Wer es sich leisten kann, nimmt sich einen Babysitter. Gewissensbisse muss deswegen niemand haben. Kinder profitieren von Eltern, die einigermaßen ausgeglichen und zufrieden sind. Wer finanziell nicht so gut gestellt ist, sollte sich ein Paar mit einer ähnlichen Situation suchen, um sich beim Kinderhüten abzuwechseln. Miteinander schlafen muss dann nicht zwangsläufig auf dem Programm stehen, das ergibt sich dann meist von ganz alleine.
Wenn beide in unterschiedlichen Schichten arbeiten, ist das nicht ganz so einfach. Dann muss die wenige verfügbare Zeit sinnvoll für Zweisamkeit genutzt werden. Ist das arbeitstechnisch nicht möglich, bleibt nichts anderes übrig, als mittel- bis langfristig einen Jobwechsel anzustreben, was natürlich finanzielle Einbußen mit sich bringen kann. Dann gilt es abzuwägen, was realisierbar ist.
Komplizierter wird es, wenn das Liebesleben bereits seit Jahren brach liegt. Dann haben Mann und Frau oft Hemmungen, sich wieder körperlich anzunähern. In einer stufenweise aufgebauten Sexualtherapie kann das ‚Miteinander Schlafen‘ recht erfolgreich wieder gelernt werden.
Ehe.de: Leiden mehr Frauen oder Männer unter einem unerfüllten Sexualleben?
Karin Tschirk: Evolutionstechnisch bedingt haben Männer einen größeren Sexualtrieb als Frauen. Schließlich könnten Männer, vorausgesetzt sie würden genügend willige Frauen finden, im Laufe ihres Lebens tausende Kinder zeugen. Bei Frauen ist die Anzahl der Kinder, die sie gebären können, viel begrenzter. Bei den meisten Männern hat Sex einen höheren Stellenwert als bei Frauen und deshalb leiden Männer häufig mehr unter einem unerfüllten Sexualleben. Ausnahmen bestätigen natürlich auch hier die Regel. Mich suchen auch immer wieder Paare in meiner Praxis auf, bei denen die Frauen gerne mehr oder besseren Sex hätten.
Ehe.de: Nehmen auch homosexuelle Paare Ihre Hilfe in Anspruch? Haben diese andere Probleme als heterosexuelle Paare?
Karin Tschirk: Leider suchen mich keine homosexuellen Paare auf. Ich weiß nicht, ob das daran liegt, dass diese tatsächlich weniger Probleme haben oder ob andere Ursachen zu Grunde liegen. Wenn man sich die klassischen Paarprobleme anschaut, ist deren Ursache tatsächlich oft in der Unterschiedlichkeit zwischen Mann und Frau zu finden. Ein Hauptproblem ist z.B., dass Frauen mehr Gesprächsbedarf haben als die meisten Männer. Demzufolge müssten sich homosexuelle Paare etwas leichter tun, miteinander klar zu kommen. Aber auch in diesen Beziehungen dürfte es einige der Probleme geben, wie auch heterosexuelle Paare sie kennen. Nur weil beide Partner das gleiche Geschlecht haben, heißt das noch lange nicht, dass beide begeistert den Müll runterbringen.
Ehe.de: Wenn gar nichts mehr geht, raten Sie dann zur Scheidung?
Karin Tschirk: Ich bin nicht der Meinung, dass eine Ehe auf Biegen und Brechen aufrecht erhalten werden muss. Manche Menschen passen einfach nicht zusammen und wären alleine oder mit einem anderen Partner besser dran. Aber direkt zur Scheidung rate ich Paaren nicht. Diesen Entschluss muss zumindest einer von beiden selbst fassen.
Wenn ich allerdings das Gefühl habe, dass zwei Menschen trotz aller Bemühungen nicht miteinander klar kommen, weise ich sie durchaus darauf hin, dass sie die Freiheit haben, die Möglichkeit einer Trennung zumindest in Betracht zu ziehen. Das kann Paaren den Druck nehmen, es auf jeden Fall gemeinsam schaffen zu müssen. Ohne diesen Druck erscheinen manche Schwierigkeiten gleich etwas kleiner. So können neue Perspektiven für ein gemeinsames Leben entstehen.
Ehe.de: Was sind Ihrer Meinung nach die wichtigsten Liebesbeweise, die man einem geliebten Menschen geben sollte?
Karin Tschirk: Dafür gibt es keine pauschale Regel. Jeder Mensch ist anders und jeder fühlt sich durch etwas anderes geliebt. Hilfreich kann es sein, wenn jeder eine Liste erstellt, was er sich alles als Liebesbeweis wünscht. Viele stellen fest, dass sie diese Frage nur schwer für sich selbst beantworten können, aber bisher erwartet haben, dass ihr Partner diese Dinge weiß. Im Zweifelsfall ist es hilfreich, sich an die Anfänge der Beziehung zu erinnern. Da überschlägt sich jeder mit Liebesbeweisen für den anderen. Natürlich flacht das irgendwann ab, aber wenn es ganz eingestellt wird, ist das eine Bedrohung für die Beziehung.
Ehe.de: Was sind Ihre Leitlinien? Wie schafft man es, positiv zu bleiben. Schließlich haben Sie ja mit Einzelschicksalen zu tun, die sicherlich Ihr Herz berühren.
Karin Tschirk: Eine meiner Leitlinie ist es, meine Klienten als erwachsene, mündige Menschen zu sehen, die ihre eigenen Entscheidungen nach bestem Gewissen treffen. Am Anfang meiner Laufbahn sah ich es als meine Pflicht an, jede Ehe zu retten. Wenn ein Paar sich trotz meiner Bemühungen trennen wollte, fühlte ich mich dafür verantwortlich. Mit der Erfahrung und der Professionalität, die ich inzwischen habe, weiß ich, dass dem nicht so ist. Die Beziehung wieder in Ordnung bringen muss das Paar aus eigener Kraft. Ich kann dabei nur unterstützend mitwirken und mein Wissen und meine Erfahrungen weitergeben. Die Beziehungsarbeit kann ich niemandem abnehmen und auch nicht die Entscheidung, wann es besser ist, zu gehen. Natürlich trifft es mich immer noch, wenn jemand verlassen wird und darunter zu leiden hat. Wenn dieser Mensch Hilfe braucht, die Trennung zu bewältigen, bin ich für ihn da. Mehr kann ich leider nicht tun. Ich kann den Gehenden nicht zum bleiben zwingen. Und selbst wenn ich es könnte, hätte ich nicht das Recht dazu.
Aber die Mehrzahl der Paare, die mich aufsuchen, findet im Laufe der Sitzungen wieder zueinander. Das immer wieder mitzuerleben hilft mir, meine Arbeit positiv anzugehen und an funktionierende Beziehungen zu glauben.
Ehe.de: Ihre Tipps für eine glückliche Beziehung?
Karin Tschirk: Manchmal kommen Paare zu mir und wollen einen einzigen Geheimtipp bekommen, der alles wieder gut machen soll. So etwas gibt es leider nicht. Stattdessen gibt es viele kleine Puzzleteile die zusammen das Bild eines glücklichen Paares ergeben. Ein paar davon kann ich gerne anführen:
• miteinander reden
• gemeinsame Interessen haben
• sich Freiräume lassen
• fair streiten
• die Sexualität nicht einschlafen lassen
Ehe.de: Haben Sie ein persönliches Vorbild in puncto Liebe?
Karin Tschirk: Die Ehe meiner Eltern. Als ich jung war, machte ich mir über deren Partnerschaft natürlich wenig Gedanken. Welcher Teenager interessiert sich schon sonderlich für die eigenen Eltern? Erst seit ich meine eigenen Erfahrungen mit ernsthaften Beziehungen gesammelt habe und mit Ehen aus meinem Bekanntenkreis und aus meiner Praxis konfrontiert wurde, kann ich den Gehalt der Ehe meiner Eltern erkennen. Auch wenn mein Vater viel zu früh starb, haben es die beiden geschafft 40 schöne Jahre ohne größere Beziehungskonflikte miteinander zu verbringen.
Ehe.de: Das ist eine schöne Vorstellung, die Mut zur Liebe macht. Kann man lieben lernen?
Karin Tschirk: Unschöne Erfahrungen aus der Kindheit wirken sich natürlich auf das Leben und somit auf das Lieben eines Erwachsenen aus. Ob derjenige, der als Kind emotional vernachlässigt wurde, trotzdem lieben lernen kann, ist von Fall zu Fall verschieden. Manche Menschen verdrängen negative Erfahrungen, werden von diesen in ihrem Empfinden und Handeln aber trotzdem beeinflusst. Ohne ein Bewusstsein für diese Abläufe ist es schwierig, daraus auszusteigen. Menschen die bereit sind, trotz schwerer Kindheit die Verantwortung für ihr Erwachsenenleben zu übernehmen, im Idealfall mit der Unterstützung durch einen erfahrenen Therapeuten, können durchaus lernen andere respektvoll und erfüllend zu lieben.
Ehe.de bedankt sich für dieses einfühlsame Gespräch!